VOM WARTEN

Das Warten in Deutschland hat eine besondere Stille. Sie ist nicht ungeduldig oder aufgeregt, nicht aufgeladen mit der rastlosen Energie, die ich aus meiner Kindheit anderswo kenne, wo Zeit stets etwas ist, das man schlagen muss. Sie ist bedächtig. Geübt. Fast ehrfürchtig. Als wäre das Warten selbst eine Disziplin - eine Art stille Zivilreligion, die in Postämtern, Bahnhöfen, Bürgerämtern und Bäckereien gepflegt wird. Wo ein kleiner Zettel in der Hand bestätigt: Du bist registriert. Du bist erfasst. Du bist Nummer 518. Die Anzeige blinkt. Man bedient gerade 489.

Ich habe auf Ausweise und Termine gewartet, auf verspätete S-Bahnen im Morgennebel, auf Briefe mit offiziellen Stempeln und Abkürzungen, die ich immer noch nicht ganz verstehe. Ich habe am Telefon gewartet, eine Orchesterversion von „Eine kleine Nachtmusik“ in Endlosschleife im Ohr, die mich daran erinnert, dass auch die Kunst in diesem Land warten muss, bis sie an der Reihe ist.

Was ich nicht erwartet hatte, war, inmitten des Wartens etwas zu finden, das der Stille nahe kommt. Eine Konfrontation mit der Zeit, die nicht nach Flucht, sondern nach Aufmerksamkeit verlangte.

In Deutschland ist das Warten Teil der Architektur des Lebens. Das lernt man früh. Man wartet, bis der Ampelmann grün leuchtet, auch wenn die Straße leer ist. Man wartet darauf, dass man angesprochen wird, dass man eingeladen wird. Man wartet, und indem man wartet, signalisiert man, dass man versteht, wie die Dinge hier laufen. Die Regeln beugen sich nicht dem Einzelnen. Der Einzelne beugt sich höflich den Regeln.

Vielleicht hat das etwas mit Ethik zu tun. Eine Art von Glauben. Dass, wenn wir alle warten, bis wir an der Reihe sind - im Supermarkt, für die Genehmigung, für einen Tisch auf der Terrasse - etwas gerechteres, geordneteres entstehen könnte. Dass die Dinge schließlich funktionieren werden.

Und das tun sie oft auch.

Aber es gibt auch eine andere Art des Wartens. Eine schwerere, existenziellere Art. Es dringt in das kollektive Gedächtnis ein. Das Gewicht des historischen Wartens von Generationen, die zwischen dem, was war, und dem, was sein könnte, schweben. Das lange Warten nach dem Krieg auf Vertrauen, auf Einheit, auf Normalität. Das Warten auf Absolution, vielleicht. Die unausgesprochene Pause vor einem Scherz, einer Geste, einer Erwähnung der Vergangenheit.

Und jetzt, in diesem gegenwärtigen Moment, ein subtileres Warten. Darauf, dass sich die Klimapolitik verfestigt, dass sich die Regierungskoalition stabilisiert, dass die Mieten in Berlin nicht weiter steigen, dass sich etwas - irgendetwas - in einer Welt, die sich ständig beschleunigt, fest anfühlt. Auch Deutschland wartet, auf seine eigene ängstliche Art und Weise.

Für eine lange Zeit war ich in den Warteschlangen angespannt. Ich lief auf den Bahnsteigen herum, wenn die Züge fünf Minuten Verspätung hatten. Ich sträubte mich gegen die obligatorischen Termine, die ich Wochen im Voraus vereinbaren musste. Ich hielt Warten für Zeitschinden. Jetzt sehe ich das anders. In Deutschland ist das Warten keine Unterbrechung des Lebens. Es ist ein Teil davon.

Vielleicht ist es das, was mich zugleich beruhigt und beunruhigt. Dass dieses Warten nicht passiv ist. Es ist eine Art von stiller Unterwerfung unter die Zeit selbst. Ein Glaube daran, dass nicht alles jetzt getan werden muss. Dass manche Dinge Zeit brauchen. Zeit brauchen sollten.

Und so warte ich. Mit anderen, auf einer steifen Bank in einem Amtsgebäude, das schwach nach Formularen und altem Linoleum riecht. Wir bewegen uns in unseren Sitzen, sprechen aber nicht. Wir blicken auf den Bildschirm, aber niemand seufzt. Nummer 518 ist noch ein paar Herzschläge entfernt.

Aber sie wird kommen. Und wenn sie kommt, wird sie genau so ankommen, wie man es erwartet: ordnungsgemäß, pünktlich und ohne Entschuldigung.

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PLYONKA